Bereits Ende Oktober 2019 hat die EU die „Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“, auch Whistleblower-Richtlinie genannt, verabschiedet. Ziel der Richtlinie (EU) 2019/1937 ist es, einen einheitlichen Standard innerhalb der EU zum Schutz von Hinweisgebern zu schaffen. Hinweisgeber, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Rechtsverstöße melden, sollen weitgehend vor Repressalien geschützt werden.
Den EU-Staaten verbleibt nur noch Zeit bis zum 17. Dezember 2021, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. In Deutschland soll die Umsetzung durch ein Hinweisgeberschutzgesetz erfolgen, wofür es bereits einen Entwurf gibt. Jedoch steht das Gesetzgebungsverfahren derzeit aufgrund von Uneinigkeiten still. Wann und wie der deutsche Gesetzgeber die Whistleblower-Richtlinie der EU konkret umsetzen wird, bleibt abzuwarten. Da die Richtlinie selbst aber bereits einige genaue Vorgaben enthält, können und sollten sich Unternehmen bereits jetzt an diesen orientieren und entsprechende Hinweisgebersysteme aufbauen. Doch wie sehen diese Vorgaben aus?
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Wer ist durch die Richtlinie geschützt?
Der persönliche Schutzbereich der Richtlinie ergibt sich aus Artikel 4. Umfasst sind zunächst einmal Hinweisgeber, die im privaten oder im öffentlichen Sektor tätig sind und im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit ihr Unternehmen auf Rechtsverstöße aufmerksam machen. Sie sollen vor Repressalien geschützt werden. Dies gilt nicht nur für Arbeitnehmer, sondern z.B. auch Praktikanten, Bewerber und ehemalige Arbeitnehmer.
In den Schutzbereich fallen darüber hinaus aber auch Dritte, die mit dem Hinweisgeber in Verbindung stehen und im beruflichen Kontext Repressalien erleiden könnten. Dabei kann es sich beispielsweise um einen Ehegatten des Hinweisgebers handeln, der denselben Arbeitgeber hat. Die Richtlinie gibt damit einen recht weiten persönlichen Schutzbereich vor.
Damit der Schutzanspruch besteht, bedarf es jedoch guten Glaubens. So muss der Whistleblower einen hinreichenden Grund für die Annahme haben, dass seine Meldung der Wahrheit entspricht (vgl. Art. 6 Abs. 1 lit. a der Richtlinie). Nicht geschützt wird hingegen, wer willentlich und wissentlich falsche oder irreführende Informationen meldet (Erwägungsgrund 32 der Richtlinie). Zu beachten ist zudem, dass die Motive des Whistleblowers, Missstände zu melden, für seinen Schutz irrelevant sein sollen, wie sich aus Erwägungsgrund 32 der Richtlinie ergibt. Hierin liegt eine Änderung im Hinblick auf die deutsche Rechtsprechung, wonach die Motivation des Anzeigenden für die Rechtmäßigkeit der Meldung eine Rolle spielt.
Welche Meldungen sind vom Schutz der Richtlinie erfasst?
Aufgrund der begrenzten Kompetenzen der EU erfasst die Whistleblower-Richtlinie nur solche Meldungen, die Missstände mit EU-Rechtsbezug betreffen. Erfasst sind nur Hinweise auf Verstöße gegen solche Bereiche des Unionsrechts, die in der Richtlinie enumerativ aufgelistet sind. Dazu gehören z.B. das öffentliche Auftragswesen, Steuerbetrug, Geldwäsche, Umweltschutz, Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten sowie Sicherheit von Netz- und Informationssystemen.
Jedoch eröffnet Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie den EU-Staaten ausdrücklich, den sachlichen Anwendungsbereich im Rahmen der nationalen Umsetzungsgesetze zu erweitern. Der Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes bezieht auch Hinweise auf Verstöße gegen deutsches Recht mit ein, sodass einheitliche Regelungen für Hinweisgeber in Bezug auf Verstöße gegen Unionsrecht sowie nationales Recht bestehen. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob sich der Entwurf durchsetzen wird.
Wahl des Hinweisgebers: Interne oder externe Meldung
Gemäß der Richtlinie haben Hinweisgeber die Wahl, ob sie Informationen zu Missständen intern im Unternehmen oder direkt bei der zuständigen Aufsichtsbehörde melden. Diese beiden Wege stellen gleichrangige Möglichkeiten einer Meldung dar. Dabei handelt es sich im Verhältnis zum deutschen Recht um eine Neuerung, denn nach der bisherigen Rechtslage in Deutschland besteht grundsätzlich ein Vorrang der internen vor der externen Meldung. Dass sich Whistleblower zukünftig dafür entscheiden können, sich auf direktem Wege an die Behörden zu wenden, birgt insbesondere Risiken für die Reputation von Unternehmen.
Darüber hinaus können sich Whistleblower unter bestimmten Voraussetzungen auch an die Öffentlichkeit wenden (vgl. Art. 15 der Richtlinie). Dies ist etwa der Fall, wenn bereits intern und extern oder auf direktem Wege extern Missstände gemeldet worden sind, aber innerhalb einer bestimmten Frist keine Rückmeldung an den Hinweisgeber erfolgt ist. Auch wenn ein hinreichender Grund zu der Annahme besteht, dass ein öffentliches Interesse vorliegt, können sich Hinweisgeber an die Öffentlichkeit wenden.
Welche Pflichten bestehen für Unternehmen?
Die Whistleblower-Richtlinie bestimmt, dass Unternehmen ab 50 Mitarbeitern geeignete Kanäle und Verfahren für interne Meldungen einrichten müssen (Art. 8 Abs. 1, 3 der Richtlinie). Diese Meldekanäle können wahlweise intern betrieben oder extern von einem Dritten bereitgestellt werden. Die Einführung guter Hinweisgebersysteme kommt nicht nur Hinweisgebern zugute, sondern sie zahlt sich auch für Unternehmen aus. In diesem Fall wählt ein Whistleblower eher den Weg der internen Meldung, anstatt sich direkt an die zuständige Aufsichtsbehörde zu wenden. Dies ermöglicht es dem Unternehmen, die Angelegenheit intern überprüfen und klären zu können.
Die Richtlinie benennt auch einige Anforderungen an Verfahren für interne Meldungen. Insbesondere muss es sich um sichere, die Vertraulichkeit wahrende Meldesysteme handeln, um die Identität des Hinweisgebers zu schützen (Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie). Zudem muss der Eingang einer Meldung innerhalb von sieben Tagen bestätigt werden. Anschließend muss der Hinweisgeber spätestens nach drei Monaten über die geplanten bzw. bereits ergriffenen Maßnahmen im Hinblick auf die Meldung informiert werden (Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie).
Zu beachten ist, dass für Unternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigten eine verlängerte Umsetzungsfrist bis zum 17.12.2023 gilt. Dennoch sollten die Vorbereitungen für Compliance-Systeme frühestmöglich erfolgen, um Haftungsrisiken gering zu halten.
Welche Schutzmaßnahmen für Hinweisgeber sind vorgesehen?
Die EU-Staaten sind verpflichtet, jegliche Repressalien gegen Whistleblower zu untersagen (Art. 19 der Richtlinie). Darunter fallen beispielsweise Kündigung, Abmahnung, Aufgabenverlagerung, negative Leistungsbeurteilung, Degradierung und sonstige Diskriminierungen. Die Richtlinie enthält eine nicht abschließende Liste von Repressalien. Neben der tatsächlichen Repressalie sind auch ihre Androhung und ihr Versuch verboten.
Eine weitere Maßnahme zum Schutz von Hinweisgebern ist die in Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie vorgesehene Beweislastumkehr in gerichtlichen und behördlichen Verfahren. Danach trägt nicht der Hinweisgeber selbst die Beweislast dafür, dass eine Benachteiligung aufgrund des Whistleblowings erfolgt ist. Vielmehr muss die Stelle, die die benachteiligende Maßnahme ergriffen hat, beweisen, dass es sich nicht um eine unzulässige Repressalie aufgrund des Whistleblowings handelt. Auch diese Regelung stellt eine Neuerung im Verhältnis zu deutschem Recht dar, wonach der Hinweisgeber bisher die Beweislast trägt.
Die Vorgaben zur Beweislast könnten für Unternehmen problematisch werden. So könnte die Beweislastumkehr etwa dazu führen, dass Arbeitnehmer kurz vor anstehenden Entlassungen Missstände in ihrem Unternehmen melden, um einen zusätzlichen Kündigungsschutz zu erreichen (Dzida/Granetzny: Die neue EU-Whistleblowing-Richtlinie und ihre Auswirkungen auf Unternehmen, NZA 2020, 1201, 1204). Dann müsste der Arbeitgeber nachweisen, dass die Kündigung nicht auf die Meldung zurückzuführen, sondern aus anderen Gründen erfolgt ist. Daher empfiehlt sich eine sorgfältige Dokumentation aller Umstände, die zu arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie z.B. einer Kündigung oder anderen Disziplinarmaßnahmen führen könnten.
Es drohen Sanktionen
Des Weiteren sieht die Richtlinie Sanktionen für Personen vor, die Meldungen behindern oder zu behindern versuchen, Repressalien ergreifen oder die Vertraulichkeit der Identität von Hinweisgebern nicht wahren (Art. 23 der Richtlinie). Die Mitgliedstaaten der EU sind verpflichtet entsprechende Sanktionen einzuführen, die wirksam, angemessen und abschreckend sind. Dies gilt auch für Hinweisgeber, die nachgewiesen wissentlich falsche Informationen gemeldet haben.
Auch hier hängt es vom deutschen Gesetzgeber ab, wie diese Sanktionen konkret aussehen werden. Der Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes stuft einige Verstöße als Ordnungswidrigkeiten ein und sieht Bußgelder in Höhe von bis zu 100.000 Euro vor.
Was sollten Unternehmen beachten?
Zwar muss die Richtlinie noch durch den deutschen Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt werden. Jedoch macht sie einige bereits hinreichend konkrete Vorgaben, die Unternehmen schon jetzt beachten sollten.
Zudem sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass die Whistleblower-Richtlinie der EU auch schon vor ihrer Umsetzung ins nationale Recht faktischen Einfluss auf Unternehmen haben könnte. Denn die Rechtsprechung könnte sich im Wege der europarechtskonformen Auslegung des deutschen Rechts an die Richtlinienvorgaben anpassen (Dzida/Granetzny: Die neue EU-Whistleblowing-Richtlinie und ihre Auswirkungen auf Unternehmen, NZA 2020, 1201, 1204; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, 5. Aufl. 2016, AEUV, Art. 288 Rn. 80).
Es empfiehlt sich daher, die entsprechenden Maßgaben zur Einrichtung eines Hinweisgebersystems frühestmöglich umzusetzen. Auch wenn bereits Systeme zur Meldung von Hinweisen bestehen, sollten diese daraufhin überprüft werden, ob sie den Vorgaben der Richtlinie entsprechen, und ggf. angepasst werden. Schließlich dienen einfache und vertrauliche Meldesysteme auch dem Unternehmen selbst, indem Meldungen an Behörden verhindert werden können. Somit kommen effiziente und sichere Hinweisgebersysteme letztlich nicht nur Whistleblowern zugute, sondern dienen auch der Minimierung von Haftungsrisiken und mithin dem Schutz des Unternehmens.
Wie sieht die Rechtslage im Bereich des Hinweisgeberschutzes in Deutschland bisher aus?
Bisher sind Arbeitnehmer grundsätzlich über das allgemeine Maßregelungsverbot des § 612a BGB geschützt. Danach darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht benachteiligen, sofern der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausgeübt hat. Dies ist der Fall, wenn die Meldung über Missstände rechtmäßig ist. Die Darlegungs- und Beweislast im Hinblick darauf, dass eine benachteiligende Maßnahme aufgrund einer zulässigen Rechtsausübung erfolgt ist, obliegt derzeit jedoch dem Arbeitnehmer (vgl. BAG, Urt. v. 18.10.2017 – 10 AZR 330/16, NZA 2017, 1452 Rn. 42).
Ob Whistleblowing rechtmäßig ist, beurteilt die Rechtsprechung im Wege einer Abwägung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse des Arbeitgebers und dem berechtigten Interesse des Arbeitnehmers an der Meldung des Missstandes. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass interne Meldungen aufgrund der Loyalitätspflicht des Arbeitnehmers grundsätzlich Vorrang haben. Eine Ausnahme kann z.B. vorliegen, wenn Abhilfe nicht zu erwarten ist. (BAG, Urt. v. 3.7.2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427, 430) Der Ausgang einer solchen Abwägung ist häufig nicht gut absehbar, sodass die Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie zu mehr Rechtssicherheit führen wird.
Abgesehen vom allgemeinen arbeitsrechtlichen Schutz gibt es einige bereichsspezifische Regelungen, die das Whistleblowing betreffen. So enthält beispielsweise das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz Regelungen (§§ 13, 27; § 16 AGG). Weitere Vorschriften finden sich etwa in § 17 Abs. 2 ArbSchG, §§ 84 ff. BetrVG, § 67 Abs. 2 Nr. 3 BBG, § 25a Abs. 1 S. 3 Nr. 3 KWG und § 48 GWG.
Darüber hinaus ist auch das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) für den Schutz von Whistleblowern relevant. Danach dürfen Geschäftsgeheimnisse grundsätzlich nicht preisgegeben werden. Jedoch schützt § 5 Nr. 2 GeschGehG Hinweisgeber, indem er Ausnahmen vorsieht. Danach ist die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens zulässig, sofern dies zum Schutz des allgemeinen öffentlichen Interesses geeignet ist.
Rechtsanwaltliche Beratung
Wie sich der Hinweisgeberschutz in Deutschland konkret ändern wird, hängt davon ab, wie der deutsche Gesetzgeber die Whistleblower-Richtlinie der EU umsetzen wird. Sicher ist jedoch, dass die Richtlinie insgesamt für einige Neuregelungen im deutschen Hinweisgeberschutzrecht sorgen wird. Der Schutz für Whistleblower wird ausgebaut und Unternehmen mehr in die Pflicht genommen. Insbesondere besteht die Gefahr für Unternehmen, dass Arbeitnehmer in Zukunft vermehrt von einer internen Klärung absehen und sich stattdessen unmittelbar an die entsprechenden Behörden wenden. Aus diesem Grund bietet es sich an, bereits jetzt mit dem Auf- bzw. Ausbau vertraulicher und effektiver Hinweisgebersysteme zu beginnen, um interne Meldungen zu fördern.
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