Bei einer Erkrankung des Kindes ist es eigentlich keine Frage, dass das Wohl des kleinen Patienten im Vordergrund stehen sollte. Die Einwilligungserfordernis der Eltern in einen ärztlichen Heileingriff stellt allerdings in der Praxis für viele Ärzte ein nicht zu unterschätzendes Haftungsrisiko dar. Bei einem ärztlichen Heileingriff hat nämlich der behandelnde Arzt nach ständiger Rechtsprechung nachzuweisen, dass der Patient aufgeklärt wurde und in die Behandlung eingewilligt hat.

Nicht selten passiert es, dass eine Operation des Kindes erforderlich ist und die Einwilligung der Eltern nicht rechtzeitig oder nur teilweise eingeholt werden kann. Das Oberlandesgericht Hamm hat in seiner Entscheidung vom 29.09.2015 (Az.: 26 U 1/15) für Rechtssicherheit gesorgt, indem es die Voraussetzungen für die Einwilligung von nur einem Elternteil in einen ärztlichen Eingriff konkretisierte.

Grundsatz: Kein ärztlicher Eingriff ohne Einwilligung

Grundsätzlich gilt, dass sich niemand über eine Behandlung beschweren kann, die mit seiner ausdrücklichen Einwilligung vorgenommen wurde „volenti non fit iniuria“. Eine rechtfertigende Einwilligung des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters in einen ärztlichen Eingriff ist notwendig, da es sich dabei nach der Rechtsprechung der Zivil- und Strafgerichte um eine tatbestandliche Körperverletzung handelt. Vor jedem ärztlichen Heileingriff ist daher nach § 630d BGB die Einwilligung des Patienten einzuholen:

§ 630 d BGB

(1) Vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, ist der Behandelnde verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen. Ist der Patient einwilligungsunfähig, ist die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen, soweit nicht eine Patientenverfügung nach § 1901a Absatz 1 Satz 1 die Maßnahme gestattet oder untersagt. Weitergehende Anforderungen an die Einwilligung aus anderen Vorschriften bleiben unberührt. Kann eine Einwilligung für eine unaufschiebbare Maßnahme nicht rechtzeitig eingeholt werden, darf sie ohne Einwilligung durchgeführt werden, wenn sie dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht.

(2) Die Wirksamkeit der Einwilligung setzt voraus, dass der Patient oder im Fall des Absatzes 1 Satz 2 der zur Einwilligung Berechtigte vor der Einwilligung nach Maßgabe von § 630e Absatz 1 bis 4 aufgeklärt worden ist.

(3) Die Einwilligung kann jederzeit und ohne Angabe von Gründen formlos widerrufen werden.

Voraussetzung an eine wirksame Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff sind u. a. die Einwilligungsfähigkeit sowie die vorangegangene Aufklärung des Patienten . Umstritten ist, ob ein Minderjähriger befugt ist, in einen ärztlichen Eingriff einzuwilligen und wenn ja, welche Voraussetzungen hierfür vorliegen müssen. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 1959, 811) kann der Minderjährige wirksam in einen ärztlichen Heileingriff einwilligen, „soweit er nach geistiger und sittlicher Reife die Tragweite des Eingriffs einzuschätzen vermag und die Zustimmung der Eltern nicht zu erlangen ist“. Der einsichtsfähige Minderjährige soll jedoch in geringfügige Eingriffe wie Zahnbehandlungen, Behandlung von Erkältungskrankheiten und diagnostische Blutentnahmen ohne vorherige Zustimmung der Eltern einwilligen können.

 

Voraussetzungen an die nur durch einen Elternteil erklärte Einwilligung – Oberlandesgericht Hamm – 29.9.2015 (Az.: 26 U 1/15) –

Die elterliche Sorge umfasst gemäß § 1626 I S.2 BGB zwei Teilbereiche. Die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögensfürsorge). Wesentliche Elemente der Personensorge sind gemäß § 1631 BGB die Pflicht und das Recht das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und dessen Aufenthalt zu bestimmen. Ist ein Kind nicht fähig „Wesen, Bedeutung und Tragweite“ eines Eingriffs zu beurteilen, so haben die Eltern grundsätzlich die volle Personensorge. Dies ist ein Ausfluss des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG. Bei minderjährigen Kindern können grundsätzlich nur beide sorgeberechtigten Eltern gemeinsam in eine ärztliche Behandlung zustimmen.

Für den Fall, dass nur ein Elternteil persönlich anwesend ist, und damit nur eine Einwilligungserklärung vorliegt, hat die Rechtsprechung Ausnahmefälle des grundsätzlichen Erfordernisses der gemeinsamen Einwilligung zugelassen. So hat nun auch das Oberlandesgericht (OLG) Hamm in seiner Entscheidung vom 29.9.2015 (Az.: 26 U 1/15) die Voraussetzungen an die nur durch einen Elternteil erklärte Einwilligung konkretisiert.

Der Entscheidung des OLG Hamms lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Eltern eines im Alter von 2,5 Jahren verstorbenen Mädchens verlangten wegen eines Behandlungsfehlers 500.000,00 EUR Schmerzensgeld von einer Bielefelder Klinik. Nachdem das Mädchen bereits mit multiplen Krankheitssymptomen zur Welt gekommen war, sollte zwei Monate nach ihrer Geburt eine operative Biopsie durchgeführt werden. Bei dem ärztlichen Aufklärungsgespräch vor der Operation war nur die Mutter des Mädchens anwesend, die auch den anästhesistischen Aufklärungsbogen alleine unterschrieb. Der Eingriff verlief nicht planmäßig, bereits bei der Intubation und Beatmung des Mädchens kam es zu Problemen, so dass die Ärzte die Biopsie nicht durchführten.

Nach zahlreichen Klinikaufenthalten in der Folgezeit verstarb das Mädchen im Jahre 2011. Die Eltern verklagten daraufhin das Bielefelder Krankenhaus, da sie der Ansicht sind, dass ihre Tochter wegen eines Behandlungsfehlers eine Sauerstoffunterversorgung erlitten habe, die schwerste Schäden an Gehirn und weiteren sauerstoffunterversorgten Organen verursacht habe. Das Landgericht wies die Klage in erster Instanz mangels Vorliegens eines Behandlungsfehlers ab. Auch das OLG verneinte eine ärztliche Haftung. Eine solche konnte es entgegen der Auffassung der klagenden Eltern auch nicht durch eine unwirksame, weil nur durch einen Elternteil erklärte Einwilligung erkennen.

Nur von einem Elternteil erklärte Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff des Kindes in Ausnahmefällen wirksam

Grundsätzlich dürfen Ärzte, wenn nur ein Elternteil mit dem Kind erscheint, darauf vertrauen, dass der andere Elternteil den erscheinenden Elternteil zur Abgabe einer für beide geltenden Einwilligung ermächtigt hat. Dabei wird nun nach schwere und Konsequenz des Eingriffs konkretisiert und abgestuft und ein Ausnahmemodell von dem Erfordernis der gemeinsamen Einwilligungserklärung vorgenommen:

Ausnahmefall 1 – Bei Routinefällen darf der behandelnde Arzt- bis zum Vorliegen entgegenstehender Umstände davon ausgehen, dass der erscheinende Elternteil die Einwilligung wirksam für beide Eltern erteilen darf.

Ausnahmefall 2- Bei Eingriffen die schwerer Art und mit nicht unbedeutenden Risiken verbunden sind, muss sich der aufklärende Arzt vergewissern, ob der erscheinende Elternteil die Ermächtigung zur Abgabe der Einwilligung des anderen Elternteils erhalten hat, und wie weit diese Ermächtigung geht. Der Arzt darf aber, bis er Kenntnis von entgegenstehenden Umständen hat, davon ausgehen, dass der erscheinende Elternteil wahrheitsgemäß Auskunft erteilt.

Ausnahmefall 3 Bei schwierigen mit weitreichenden Konsequenzen verbundenen Entscheidungen über die Behandlung des Kindes, etwa einer Herzoperation, muss sich der behandelnde Arzt positiv davon vergewissern, dass der abwesende Elternteil mit dem Eingriff einverstanden ist.

Für den vom OLG Hamm zu entscheidenden Fall, hatte dies folgende Konsequenzen:

Das Gericht beurteilte den vorliegenden Eingriff als einen leichten bis mittelschweren, so dass ein Ausnahmefall 2 anzunehmen sei. Der Arzt hatte die Mutter des Mädchens nach der Einwilligung des Vaters gefragt und sich diese durch die Unterschrift der Mutter auf dem Aufklärungsbogen bestätigen lassen. Daher verneinten die Richter einen Behandlungsfehler, mit der Folge dass den Eltern des verstorbenen Mädchens kein Schmerzensgeld zugesprochen wurde.

Fazit: Ob eine gemeinsame Einwilligung der Eltern in einen ärztlichen Eingriff des minderjährigen Kindes erforderlich ist, bestimmt sich maßgeblich nach der Schwere des ärztlichen Eingriffs. Die Abgrenzung zwischen den vorbenannten Ausnahmefällen ist allerdings nicht immer einfach und kann bei falscher Einordnung zu einer Haftung des behandelnden Arztes führen.


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