Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich in seiner Entscheidung vom 19.05.2016 (8 AZR 470/14) mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Voraussetzungen Stellenausschreibungen Bewerber diskriminieren und dadurch einen Entschädigungsanspruch nach dem Allgemeinen Gleichheitsgesetz („AGG“) begründen können. Danach kommt es nunmehr weder auf eine „objektive Eignung“ des Bewerbers für die ausgeschriebene Stelle noch auf die „subjektive Ernsthaftigkeit“ der Bewerbung an.


Benachteiligungsverbot nach AGG

Die Parteien stritten darüber, ob die Beklagten verpflichtet sind, an den Kläger eine Entschädigung wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot des AGG zu zahlen. § 3 AGG regelt in Abs. 1, wann eine unmittelbare Benachteiligung vorliegt, und in Abs. 2, wann eine mittelbare Benachteiligung vorliegt. § 15 AGG normiert die Entschädigung und den Schadensersatz bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot.

Zum Sachverhalt: Der 1953 geborene Kläger ist promoviert und als Einzelanwalt tätig. Die Beklagte ist eine Partnerschaft von Rechtsanwälten, die im November 2012 eine Stellenanzeige veröffentlichte, die auszugsweise den folgenden Inhalt hat: “Zur Verstärkung unseres Teams suchen wir einen Rechtsanwalt (m/w) mit 0 – 2 Jahren Berufserfahrung […]. Wir bieten […] eine langfristige Perspektive in einem jungen und dynamischen Team. […].” Der Kläger bewarb sich auf die ausgeschriebene Stelle, erhielt jedoch eine Absage von der Beklagten. Daraufhin machte der Kläger gegen die Beklagte wegen der Ablehnung seiner Bewerbung Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche wegen Altersdiskriminierung geltend.

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab. Die Revision des Klägers hatte Erfolg.

Keine „subjektive Ernsthaftigkeit“ für den Status als „Bewerber“ notwendig

Grundsätzlich können auch Bewerber Entschädigungsansprüche nach § 15 AGG geltend machen. Nach der bisherigen Auffassung des BAG setzte dies jedoch zunächst voraus, dass der Kläger sich mit dem Ziel einer Einstellung beworben hatte. Bloßen „Scheinbewerbern“ wurde der Schutz vor Diskriminierung zum Teil bereits aufgrund der fehlenden Bewerbereigenschaft versagt. Hiervon abweichend entschied das BAG nun, dass § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG einen formalen Bewerberbegriff enthalte. Auf die „subjektive Ernsthaftigkeit“ der Bewerbung komme es nicht an. Für die Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs genüge es somit, dass eine Bewerbung eingereicht wurde.

Entschädigungsanspruch trotz fehlender „objektiver Eignung“ des Bewerbers

Entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung ist die „objektive Eignung“ des Bewerbers nach dem BAG kein Kriterium der „vergleichbaren Situation“ oder „vergleichbaren Lage“ i. S. v. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG mehr und damit keine Voraussetzung für einen Anspruch nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG. In den Bestimmungen des AGG und den unionsrechtlichen Vorgaben fänden sich für eine Verengung des Vergleichsmaßstabs keine hinreichenden Anhaltspunkte. Ein zu eng gefasster Vergleichsmaßstab würde die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich machen oder jedenfalls übermäßig erschweren. Berücksichtigung könne eine fehlende objektive Eignung allenfalls noch im Rahmen der Prüfung finden, ob dem Anspruch des Bewerbers der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) entgegensteht.

Hohe Anforderungen an den Ausschluss eines Entschädigungsanspruchs

Ein Entschädigungsanspruch kann zwar durch den Einwand des Rechtsmissbrauchs begrenzt werden, jedoch sind hieran nach der Entscheidung des BAG hohe Anforderungen zu stellen. Danach sei der Diskriminierungsschutz nicht schon deshalb versagt, weil sich der Entschädigungskläger allein aus dem Grund auf die ausgeschriebene Stelle beworben habe, um sodann einen Entschädigungsanspruch geltend zu machen (sog. „AGG-Hopper“ oder „professioneller Diskriminierungskläger“).

Die Feststellung eines Rechtsmissbrauchs verlange das Vorliegen eines sowohl objektiven als auch subjektiven Elements. In objektiver Hinsicht müsse die Gesamtwürdigung der Umstände ergeben, dass trotz der eingereichten Bewerbung kein Zugang zu der offerierten Beschäftigung gesucht würde. In subjektiver Hinsicht müsse aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte die Absicht des Bewerbers ersichtlich sein, sich einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs trage der Arbeitgeber. Das Vorliegen eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Klägers verneinte das BAG vorliegend, da die Beklagte hierfür keine ausreichenden Anhaltspunkte vorgetragen habe.

Wann liegt eine diskriminierende Formulierung vor?

Die in Stellungsanzeigen enthaltenen Anforderungskriterien „von 0-2 Jahre Berufserfahrung“ oder „Berufseinsteiger“ könne nach § 3 Abs. 2 AGG eine Benachteiligung wegen des Alters enthalten, und das Angebot der Mitarbeit in einem „jungen und dynamischen Team“, bewirke eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters i.S.v. § 3 Abs. 1 AGG, so das BAG.

In einer Stellenausschreibung mit Diskriminierung liege ein Verstoß gegen § 11 AGG, welcher zugleich die Vermutung i.S.v. § 22 AGG begründe, dass der erfolglose Bewerber im Auswahlverfahren wegen eines Grundes i.S.v. § 1 AGG benachteiligt wurde. Dem Arbeitgeber obliege es hiernach darzulegen und zu beweisen, dass die Diskriminierung wegen § 8 AGG oder nach § 10 AGG zulässig war, oder aber die Vermutung dahingehend zu widerlegen, dass ausschließlich andere Gründe zur Ablehnung des Bewerbers geführt haben.


Praxishinweis: Möglichkeiten für Entschädigung werden erweitert

Mit diesem Urteil werden die Möglichkeiten von Bewerbern, Entschädigungen nach dem AGG zu verlangen, erheblich erweitert.

So reicht es nach der neuen Rechtsprechung des BAG für einen Anspruch wegen verbotener Diskriminierung grundsätzlich bereits aus, dass sich ein Bewerber überhaupt auf eine ausgeschriebene Stelle beworben hat. Auch der Einwand des Rechtsmissbrauchs dürfte nach der neuen Linie des BAG erheblich an Bedeutung verlieren. Die Anforderungen an die Darlegung und den Beweis der hierfür erforderlichen Tatsachen sind so hoch, dass sie einem Arbeitgeber nur schwer gelingen werden. Dass eine Person eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt und mehrere Entschädigungsprozesse geführt hat oder führt, reicht allein für die Bejahung eines Rechtsmissbrauches jedenfalls noch nicht aus.

Die Entscheidung macht einmal mehr deutlich, dass seitens der Arbeitgeber äußerste Vorsicht bei der Formulierung von Stellenausschreibungen geboten ist, um einen Entschädigungsanspruch wegen einer Diskriminierung auszuschließen.

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