Das Oberlandesgericht Oldenburg hat Anfang 2017 entschieden, dass keine Unterhaltsverpflichtung von erwachsenen Kindern gegenüber bedürftigen Elternteilen besteht, wenn der nun bedürftige Elternteil seine eigene frühere Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt gegenüber dem Kind grob vernachlässigt hat und eine Inanspruchnahme grob unbillig erscheint (OLG Oldenburg, Urt. v. 04.01.2017 – Az.: 4 UF 166/15). Im vorliegenden Fall wurde die Unterhaltspflicht der Tochter gegenüber dem bedürftigen Vater abgelehnt, da dieser seinerseits seiner Unterhaltspflicht gegenüber seiner Tochter nicht nachgekommen war und darüber hinaus den Kontakt zur Tochter nach der Trennung von der Mutter abgebrochen hatte. In der Gesamtschau dieser Verfehlungen soll eine eigene Inanspruchnahme unbillig sein, so das Oberlandesgericht Oldenburg.


Grundsatz der gegenseitigen Unterhaltsverpflichtung nach § 1601 BGB

Grundsätzlich sind Eltern und Kinder als Verwandte in gerader Linie einander zum Unterhalt nach 1601 BGB verpflichtet. Diese Unterhaltspflicht gilt gegenseitig und tritt im Fall der Unterhaltsbedürftigkeit nach § 1602 Abs. 1 BGB ein. Demnach ist derjenige Unterhaltsberechtigter, der außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Eine Grenze zieht das deutsche Unterhaltsrecht bei fehlender Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen. Gemäß § 1603 Abs. 1 BGB entfällt die Unterhaltspflicht, wenn der Unterhaltspflichtige unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, Unterhalt zu gewähren ohne seinen eigenen angemessenen Unterhalt zu gefährden.


Beschränkung oder Wegfall des Unterhaltsanspruchs nach § 1611 BGB

Darüber hinaus kann gemäß § 1611 Abs. 1 BGB die Unterhaltsverpflichtung unter bestimmten Voraussetzungen beschränkt werden oder sogar gänzlich wegfallen. Der Wortlaut der Norm unterscheidet drei Varianten, bei denen eine Unterhaltspflicht beschränkt wird.

Zunächst kann die Unterhaltspflicht nach § 1611 Abs. 1 S.1,1. Var. BGB auf einen billigen Beitrag beschränkt werden, wenn der Unterhaltsberechtigte durch einen sittlichen Verstoß bedürftig geworden ist. Als Beispiel können dafür Spiel-, Alkohol- und Drogensucht genannt werden, wenn diese für die Bedürftigkeit ursächlich sind. Zudem kann der Unterhaltsanspruch beschränkt werden, wenn der Unterhaltsberechtigte früher selbst eine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem nun Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt hat, § 1611 Abs. 1 S.1, 2. Var. BGB. Zuletzt kann der Anspruch beschränkt werden, wenn der Unterhaltsberechtigte vorsätzlich eine schwere Verfehlung gegenüber dem Unterhaltspflichtigen oder einem nahen Angehörigen begeht, § 1611 Abs. 1 S. 1, 3.Var. BGB.

Ein gänzlicher Entfall der Unterhaltspflicht soll ausnahmsweise nach § 1611 Abs. 1 S. 2 BGB nur dann vorliegen, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre. Was grob unbillig in diesem Zusammenhang ist, muss anhand der Rechtsprechung der obersten Gerichte ermittelt werden.


Kontaktabbruch als schwere Verfehlung?

Bei der Frage, ob ein Kontaktabbruch eine schwere Verfehlung darstellt und zu einer Beschränkung des Unterhaltsanspruchs führt, muss zunächst berücksichtigt werden, dass es sich bei der Norm von § 1611 BGB um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift handelt. Eine schwere Verfehlung sei grundsätzlich nur bei einer tiefgreifenden Beeinträchtigung schutzwürdiger wirtschaftlicher Interessen oder persönlicher Belange gegeben, so der Bundesgerichtshof im Jahr 2010 (BGH, Urt. v. 15.09.2010 – XII ZR 148/09). In der gleichen Entscheidung hat der Bundesgerichtshof zudem eine schwere Verfehlung bei einem Kontaktabbruch der Mutter über 30 Jahre hinweg gegenüber der unterhaltspflichtigen Tochter abgelehnt. Grund dafür sei fehlender Vorsatz bezüglich des Kontaktabbruchs wegen einer psychischen Krankheit der Mutter gewesen. Zudem habe sich die Mutter später wieder um einen Umgang mit ihrer Tochter bemüht, sodass eine tiefgreifende Beeinträchtigung abzulehnen war.

Das Oberlandesgericht Oldenburg hat nun entgegen der üblichen Rechtsprechung den Kontaktabbruch des Vaters gegenüber der unterhaltspflichtigen erwachsenen Tochter als schwere Verfehlung angesehen (OLG Oldenburg, Urt. v. 04.01.2017 – 4 UF166/15). Im vorliegenden Fall hatte der Vater nach seiner Trennung von der Mutter der unterhaltspflichtigen Tochter den Kontakt zu seiner früheren Familie gänzlich und nachhaltig abgebrochen. Nach der Erklärung, von seiner früheren Familie nichts mehr wissen zu wollen, hatte der Vater nur noch zwei Mal Kontakt mit seiner Tochter. Mit einem solchen Kontaktabbruch habe der Vater seine väterliche Pflicht zu Beistand und Rücksicht aus § 1618a BGB verletzt. Diese Pflicht gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch zwischen den Eltern und erwachsenen Kindern (BGH, Urt. v. 15.09.2010 – XII ZR 148/09). Damit muss eine Beschränkung des Unterhaltsanspruchs nach § 1611 Abs. 1 S.1, 3. Alt. BGB bejaht werden.


Wegfall der Unterhaltsverpflichtung

Das Oberlandesgericht Oldenburg hat in seiner jüngsten Entscheidung jedoch auch festgestellt, dass ein Kontaktabbruch alleine generell nicht zum gänzlichen Verlust des Unterhaltsanspruchs führe, da dieser für sich gesehen keine grobe Unbilligkeit im Sinne von § 1611 Abs. 1 S.2 BGB darstelle. Ein Wegfall der Unterhaltsverpflichtung wegen grober Unbilligkeit der Inanspruchnahme der Tochter wurde dennoch bejaht, da der Vater neben dem Kontaktabbruch über einen Zeitraum von sechs Jahren seiner eigenen Unterhaltspflicht gegenüber der Tochter nicht nachgekommen ist. In einer notwendigen Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls habe die Tochter einerseits die emotionale Kälte und andererseits die Verletzung der wirtschaftlichen Pflichten des Vaters erfahren müssen. Dies führe zu einer grob unbilligen Inanspruchnahme, die zum Wegfall des Unterhaltsanspruchs des Vaters führe.


Fazit

Bei der Beurteilung, ob ein Kontaktabbruch zum Wegfall der Unterhaltsverpflichtung führt, kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an. Regelmäßig wird in der Rechtsprechung ein Verlust des Unterhaltsanspruchs alleine wegen eines Kontaktabbruchs abgelehnt. Allerdings kann die Gesamtschau aller Umstände im Einzelfall zu einem solchen Wegfall der Unterhaltsverpflichtung führen. Daher sollte zur Beurteilung von Unterhaltsansprüchen kompetenter juristischer Rat eingeholt werden.

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