Deutschland leidet nach wie vor unter akutem Fachkräftemangel bedingt unter anderem durch den demografischen Wandel und den Eintritt der Babyboomer-Generation ins Rentenalter. Der Fachkräftemangel zieht sich dabei durch fast alle Berufsgruppen und nimmt der Wirtschaft damit zunehmend Aufschwungschancen. Um Deutschland zu einem attraktiveren Standort zu machen, arbeitet die Bundesregierung stetig daran, die Hürden für reguläre Zuwanderung aus dem Ausland abzubauen und somit die Fachkräfteeinwanderung zu fördern. Im Zuge dessen wurde am 23.06.2023 das Gesetz zur Weiterentwicklung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes beschlossen.
Die erste Stufe der neuen Regelungen für die Fachkräfteeinwanderung ist bereits im November 2023 in Kraft getreten. Sie umfasste hauptsächlich Erleichterungen bei der Blauen Karte EU und bei anerkannten Fachkräften. Die zweite Stufe im März 2024 beinhaltete einen leichteren Zugang für ausländische Fach- und Arbeitskräfte mit Berufserfahrung und für Auszubildende sowie die bessere Anerkennung von Berufsqualifikationen. Seit dem 01.06.2024 wirken nun weitere Elemente dieses Regelungspakets, insbesondere zur Chancenkarte. Damit sind nun alle Stufen des neuen Fachkräfteeinwanderungsrechts in Kraft.
Sie können sich jederzeit an unsere Kanzlei wenden, wenn Sie ein bestimmtes Problem oder eine Rechtsfrage zur Chancenkarte haben. Unsere Anwälte sind telefonisch und per E-Mail erreichbar und bieten die Möglichkeit von Videokonferenzen. Für weitere juristische Informationen besuchen Sie bitte unsere Homepage zum Aufenthaltsrecht.
Was ist die Chancenkarte?
Die Chancenkarte ist ein Aufenthaltstitel zur Suche nach einer Erwerbsqualifikation oder nach Maßnahmen zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen. Als solcher ermöglicht er die Einreise bzw. den Aufenthalt in Deutschland zur Arbeitsplatzsuche. Die Chancenkarte hat dabei eine Gültigkeit von einem Jahr.
Wenn die Jobsuche zu einer qualifizierten Beschäftigung führt, aber (noch) nicht alle Voraussetzungen für einen Erwerbstitel aus Abschnitt 4 (§§ 18 bis 21 des Aufenthaltgesetzes) erfüllt werden, kann die Chancenkarte mit Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit für bis zu zwei Jahre verlängert werden. Hat der Karteninhaber innerhalb des Jahres einen festen Arbeitsplatz gefunden und erfüllt die weiteren Voraussetzungen für einen Erwerbstitel nach Abschnitt 4 des Aufenthaltgesetzes, so kann er einen entsprechenden Aufenthaltstitel zum Arbeiten in Deutschland erlangen.
Die Chancenkarte bietet während der Jobsuche die Möglichkeit zur Probearbeit oder zur Beschäftigung im Umfang von maximal 20 Stunden in der Woche (Nebenbeschäftigung).
Erwerb der Chancenkarte: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?
Es gibt zwei verschiedene Wege, die Chancenkarte zu erwerben:
- Man ist bereits Fachkraft im aufenthaltsrechtlichen Sinne (§ 18 Abs. 3 AufenthG).
- Man ist (noch) keine Fachkraft und muss für die Erteilung der Chancenkarte mindestens 6 Punkte nach dem Punktesystem vorweisen.
Je nachdem, ob man bereits Fachkraft ist oder nicht, unterscheiden sich sodann die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um die Chancenkarte zu erhalten. Zwingende Voraussetzung in beiden Fällen ist jedoch, dass der Lebensunterhalt gesichert ist.
Zwingende Voraussetzung: Gesicherter Lebensunterhalt
Der Lebensunterhalt gilt dann als gesichert, wenn er ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestritten werden kann, § 2 Abs. 3 AufenthG. Durch diese Voraussetzung zum Erhalt der Chancenkarte soll sichergestellt werden, dass keine neuen Belastungen des öffentlichen Haushalts entstehen. Die Prüfung dieser Voraussetzung erfolgt mittels einer Prognoseentscheidung. Dabei werden die zur Verfügung stehenden Mittel in Relation zur vorgesehenen Geltungsdauer des befristeten Aufenthaltstitels gesetzt – im Fall der Chancenkarte also von maximal einem Jahr. Maßgeblich ist hierbei, ob ein Anspruch auf Sozialleistungen besteht, und nicht, ob die betreffende Person tatsächlich Sozialleistungen in Anspruch nimmt.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um als Fachkraft im aufenthaltsrechtlichen Sinne eingestuft zu werden?
Als “Fachkraft” im Sinne des Aufenthaltsgesetzes gilt jeder, der entweder eine Berufsqualifikation besitzt, die als mit einer inländischen qualifizierten Berufsausbildung gleichwertig gilt (Fachkraft mit Berufsausbildung), oder einen Hochschulabschluss besitzt, der mit einem deutschen Hochschulabschluss vergleichbar ist (Fachkraft mit akademischer Ausbildung), § 18 Abs. 3 AufenthG. Wer diese Voraussetzung erfüllt, ist bereits eine Fachkraft und muss keine Punkte nach dem Punktesystem sammeln, sondern kann direkt den Antrag auf eine Chancenkarte stellen.
Unter welchen Voraussetzungen erhält man die Chancenkarte ohne Fachkraft zu sein?
Wenn man keine Fachkraft ist, steht der Weg zu einer Chancenkarte unter folgenden Voraussetzungen offen:
- Man kann eine ausländische Berufsqualifikation oder einen ausländischen Hochschulabschluss nachweisen. Beides muss im Land des Erwerbs staatlich anerkannt sein, nicht aber in Deutschland.
- Man kann einfache (Niveau A1) deutsche oder gute (Niveau B2) englische Sprachkenntnisse nachweisen.
Sind diese Eintrittsvoraussetzungen erfüllt, gibt es verschiedene Möglichkeiten Punkte zu sammeln. Wer mindestens 6 Punkte nachweist, ist berechtigt einen Antrag auf die Chancenkarte zu stellen.
In dem Punktesystem gibt es unterschiedlich viele Punkte zum Beispiel für
- einen (Teil-)Anerkennungsbescheid einer deutschen Anerkennungsstelle,
- Sprachkenntnisse in Deutsch und/oder Englisch,
- Berufserfahrung im Bereich der Berufsqualifikation oder des Hochschulabschlusses,
- Berufsqualifikation/Hochschulabschluss in einem Engpassberuf,
- Einhaltung bestimmter Altersgrenzen bei Beantragung der Chancenkarte,
- rechtmäßigen Voraufenthalt in Deutschland,
- Partner/in erfüllt die Voraussetzungen für eine Chancenkarte ebenfalls und beantragt diese auch.
Keines der vorgestellten Merkmale ist für sich genommen 6 Punkte wert. Die notwendigen 6 Punkte für die Chancenkarte zu erreichen ist also nur in Kombination verschiedener Merkmale möglich.
Welche weiteren Neuerungen gibt es durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz?
Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat neben der Einführung der Chancenkarte noch zu diesen Erleichterungen der Erwerbsmigration geführt:
- Für den Erhalt der Blauen Karte EU wurde beispielsweise die Gehaltsschwelle gesenkt und die Dauer der Berufserfahrung gekürzt.
- Die Westbalkanregelung wurde zum 01.06.2024 entfristet und ihr Kontingent auf 50.000 jährlich verdoppelt. Diese Regelung erleichtert den Zugang für Staatsangehörige aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, dem Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien zum deutschen Arbeitsmarkt. Liegt ein konkretes Arbeitsangebot oder ein Arbeitsvertrag vor, kann die betreffende Person unabhängig von der Qualifikation in den deutschen Arbeitsmarkt einreisen.
- Erleichterungen beim Familiennachzug: Wenn Ehegattinnen, Ehegatten oder minderjährige Kinder zu bestimmten Fachkräften nach Deutschland ziehen, wird nun auf den Nachweis ausreichenden Wohnraums verzichtet.
- Zudem können solche Fachkräfte auch ihre Eltern und – wenn die Ehegattin oder der Ehegatte auch dauerhaft im Bundesgebiet ansässig sind – Schwiegereltern zu sich holen, wenn sie ihre Aufenthaltserlaubnis erstmals am oder nach dem 1. März 2024 erhalten haben.