Insbesondere durch die gemeinsame Grenze kommt dem Auslieferungsverkehr zwischen Deutschland und den Niederlanden eine besondere Relevanz zu. Schon seit langer Zeit kooperieren die beiden Länder eng im Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen. So stellen selbst deutsch-niederländische Polizeistreifen sicher, dass die Rechtsdurchsetzung nicht an den Grenzen Halt macht. Doch Unterschiede zwischen den Ländern und Rechtssystemen können zu Besonderheiten im Bereich der Rechtshilfe führen. Die Niederlande gelten zudem insbesondere durch ihre geografische Lage, aber auch aufgrund ihrer teils liberalen Gesetzgebung, als wichtiges Transitland. Allerdings sind sie auch bekannt für ein recht hohes Ausmaß organisierter Kriminalität. Dadurch gewinnen Auslieferungen und die generelle Zusammenarbeit der Justizbehörden noch einmal zusätzlich an Bedeutung.
Auslieferung eigener Staatsbürger
Im Rahmen der Auslieferung von Personen gemäß den Regelungen über den Europäischen Haftbefehl sind die Mitgliedsstaaten zur Auslieferung eigener Staatsbürger verpflichtet. Die Auslieferung eigener Staatsbürger kann nur dann abgelehnt werden, wenn der ersuchte Mitgliedsstaat sich verpflichtet, die Vollstreckung der gegen die gesuchte Person erlassenen Strafe selbst zu übernehmen.
Rechtliche Grundlagen für den Auslieferungsverkehr zwischen Deutschland und den Niederlanden
Für Deutschland regelt das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) den Bereich der Auslieferung. Dieses Gesetz besagt in § 1 Abs 3 IRG, dass völkerrechtliche Regelungen den Bestimmungen des IRGs vorgehen, soweit sie anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind. Das bedeutet, dass in den Bereichen, in denen die EU eigene Regelungen erlassen hat, EU-Recht und nicht das IRG anzuwenden ist. Daher wird der Auslieferungsverkehr zwischen Deutschland und den Niederlanden seit der Einführung im Jahr 2004 im Wesentlichen von den unionsrechtlichen Regelungen zum Europäischen Haftbefehl bestimmt.
Der Europäische Haftbefehl und mögliche Auslieferungshindernisse
Der Europäische Haftbefehl wurde im Jahr 2004 eingeführt und dient der vereinfachten Übergabe von gesuchten Personen innerhalb der EU. Wird eine Person im Rahmen der Strafverfolgung oder zum Zwecke des Strafvollzugs von einem der Mitgliedsstaaten gesucht, ersetzt der EuHb seit seiner Einführung die vorher notwendigen langwierigen Auslieferungsverfahren. Die Grundlage für das vereinfachte Verfahren bietet das in vielen Bereichen der Europäischen Union geltende Vertrauensprinzip. Das bedeutet, dass die Mitgliedsstaaten grundsätzlich verpflichtet sind, Gerichtsentscheidungen aus einem anderen Mitgliedsstaat anzuerkennen, ohne eine gesonderte eigene Prüfung durchzuführen.
Dennoch gibt bestimmte Fallkonstellationen, in denen es den Behörden möglich ist, ein Auslieferungsersuchen aus einem anderen Mitgliedsstaat abzulehnen. Dies gilt beispielsweise dann, wenn die gesuchte Person minderjährig ist, bereits früher für dieselbe Tat rechtskräftig verurteilt worden ist (nach dem Grundsatz „ne bis idem“) oder die Tat verjährt ist.
Das Doppelbestrafungsverbot und Strafzumessung in den Niederlanden
Das Doppelbestrafungsverbot ist in Hinblick auf den Auslieferungsverkehr unter anderem deswegen interessant, da die Niederlande bei verschiedenen Delikten, insbesondere bei sogenannten Weichdrogendelikten, eine deutlich liberalere Linie vertreten als dies in Deutschland der Fall ist. Dies führt immer wieder zu einem signifikant niedrigeren Strafmaß als es bei einem deutschen Urteil verhängt worden wäre. Laut EuGH verbietet Art. 50 GRCh, dass eine Person wegen einer Straftat, deretwegen sie in der EU bereits rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen wurde, nochmals verurteilt wird – selbst, wenn diese in Deutschland deutlich härter bestraft worden wäre. Voraussetzung dafür ist eine identische materielle Tat, es muss also in beiden Verfahren dieselbe Person zur selben Zeit am selben Ort gehandelt haben. Zu entscheiden, ob dies der Fall ist, obliegt dem jeweils zuständigen nationalen Gericht.
Auch die Einstellung eines Verfahrens verhindert, dass eine Person wegen derselben Tat in der EU oder einem anderen Staat des Schengen-Abkommens weiterhin verfolgt oder auch über Interpol gesucht wird. Das gegenseitige Vertrauen der SDÜ-Staaten sowie das Recht auf Freizügigkeit ständen einer Inhaftnahme bzw. Inhafthaltung nach einer bereits rechtskräftigen Entscheidung, wovon auch die Einstellung eines Verfahrens umfasst ist, entgegen (so der EUGH in seinem Urteil C-505/19 vom 12.05.2021).
Jedoch gibt es auch Ausnahmen vom Doppelbestrafungsverbot. So kann ein Staat beispielsweise erklären, dass er sich nicht an das Doppelbestrafungsverbot gebunden fühlt, wenn sich eine Straftat gegen die nationale Sicherheit richtet. Dies sei nur dann der Fall, wenn wesentliche Funktionen des Staates oder die grundlegenden Interessen der Gesellschaft durch die Tat in schwerwiegender Weise destabilisiert werden. Außerdem, so der EuGH, gilt es im Falle einer Ausnahme vom Doppelbestrafungsverbot stets Art. 52 Abs. 1 Satz 2 GRCh zu beachten, wonach etwaige Einschränkungen des Verbots nur unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorgenommen werden dürfen.
Abwesenheitsurteil in den Niederlanden
Eine weitere, durchaus beachtenswerte, prozessuale Besonderheit in den Niederlanden ist die Möglichkeit, ein Abwesenheitsurteil zu sprechen, wohingegen ein Urteilsspruch in Abwesenheit des Angeklagten in der deutschen Rechtsordnung grundsätzlich ausgeschlossen ist. Begehrt ein Land die Auslieferung eines in Abwesenheit Verurteilten oder die Vollstreckung eines Abwesenheitsurteil, kommt es zu einem Konflikt zwischen den verschiedenen Rechtssystemen, zum sogenannten ordre-public-Konflikt. Um diesen Konflikt aufzulösen, versucht man im europäischen Auslieferungsrecht inzwischen nach einheitlichem europäischem Maßstab vorzugehen. Angelehnt an die Rechtsprechung des EGMR genießt gemäß Art. 5 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses (2002/584) zum EuHb derjenige, der der persönlich geladen worden war oder auf andere Weise von Termin und Ort der Verhandlung Kenntnis erlangt hatte, keinen Auslieferungsschutz. Wurde die betroffene Person nicht entsprechend unterrichtet, wird die Auslieferung an die Bedingung geknüpft, dass ihr „die ausstellende Justizbehörde eine als ausreichend erachtete Zusicherung gibt, […] im Ausstellungsmitgliedstaat eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen und bei der Gerichtsverhandlung anwesend zu sein“ (Art. 5 Nr. 1 RbEuHb).
Der Strafprozess in den Niederlanden
Ein Auslieferungsverfahren zwischen Deutschland und den Niederlanden beginnt in der Regel mit einem Europäischen Haftbefehl. In den Niederlanden wird ein solcher Haftbefehl von der jeweils zuständigen „Rechtbank“ (dt. Bezirksgericht) erlassen. Das strafrechtliche Hauptverfahren in den Niederlanden ist ähnlich zum deutschen Recht, wodurch auch die Zusammenarbeit in Strafsachen durchaus erleichtert werden kann. Dennoch gibt es einige Besonderheiten, die auch im Auslieferungsverkehr relevant sein können. Aktuell herrscht in den Niederlanden teils ein politisches Klima, das nach Härte verlangt. Dies schlägt sich beispielsweise bei der Verhängung von Untersuchungshaft nieder. Seit 2003 stehen die Niederlande kontinuierlich an der Spitze im Verhängen von Untersuchungshaft. Diesbezüglich waren bereits zahlreiche Entschädigungen an Betroffene zu zahlen, die oft deutlich höher ausfallen als entsprechende Entschädigungen in Deutschland. Der Erlass eines Haftbefehls setzt in den Niederlanden grundsätzlich entweder Fluchtgefahr oder eine große Gefahr für die öffentliche Sicherheit voraus. Für die Dauer der Untersuchungshaft gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wobei die Haft nach jeweils drei Monaten überprüft werden muss. Im Auslieferungsverkehr ist zu beachten, dass eine bereits erfolgte Untersuchungshaft in den Niederlanden auf eine im Rahmen eines deutschen Urteils verhängten Haftstrafe anzurechnen ist.
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