Das Auslieferungsverfahren ist ein juristisch komplexes und mitunter emotional sehr belastendes Verfahren für die Betroffenen und ihre Angehörigen. Auslieferungsersuchen aus Mitgliedsstaaten der Europäischen Union werden zudem in den meisten Fällen stattgegeben. Allein in 2021 sind 54 Auslieferungsersuchen von belgischen Behörden bewilligt worden. Zu den häufigsten Gründen für die beantragte Überstellung gehörten Diebstahlsdelikte, Sachbeschädigungen und Betäubungsmitteldelikte.
Schlun & Elseven ist eine international aktive Rechtsanwaltskanzlei, mitunter spezialisiert auf die Vertretung von Mandanten im Auslieferungsverfahren. Unsere Anwälte für Auslieferungsrecht verfügen über die notwendige Expertise und Erfahrung im Umgang mit europäischen Haftbefehlen und Interpol Red Notices, um Sie in diesen herausfordernden Situationen bestmöglich zu vertreten.
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Auslieferung deutscher Staatsangehöriger an Belgien
Die gesetzlichen Grundlagen für die Auslieferung aus Deutschland sind nicht einheitlich aufzufinden. Grundsätzlich schreibt die deutsche Verfassung in Artikel 16 Absatz 2 des Grundgesetzes vor, dass Deutsche aus Deutschland nicht an das Ausland ausgeliefert werden dürfen. Allerdings bestimmt die Vorschrift auch, dass für Auslieferungen an Mitgliedsstaaten der Europäischen Union durch Gesetz eine abweichende Regelung getroffen werden kann, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind. Eine solche gesetzliche Regelung wurde zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl von 2002 in das Gesetz über Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) in die §§ 78 – 83j eingefügt.
Europäischer Haftbefehl
Der Europäische Haftbefehl bildet somit die Grundlage für die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der EU. Zweck dessen ist die vereinfachte und beschleunigte Durchsetzung eines nationalen Haftbefehls innerhalb eines anderen Mitgliedsstaats. Ein grundlegendes Element des Europäischen Haftbefehls ist der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung. Innerhalb der EU dürfe demnach darauf vertraut werden, dass die anderen Staaten die erforderlichen Voraussetzungen einhalten, da sie als Mitgliedsstaaten der EU gemeinsame Werte teilen, auf die sich die Union stützt. Es bestehe also ein gegenseitiges Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten, sodass das Gericht, das mit einem Auslieferungsersuchen befasst ist, davon ausgeht, dass der ersuchende Mitgliedstaat die Rechte der EU-Grundrechtscharta beachtet. Dieses Vertrauen kann ausnahmsweise durch konkrete Anhaltspunkte erschüttert werden, wenn Grund zur Annahme eines “ordre-public-Verstoßes” im Sinne des § 73 Satz 2 IRG besteht. Ein solcher kann zum Beispiel angenommen werden, wenn die reale Gefahr existiert, dass ein Verfolgter im ersuchenden Mitgliedsstaat unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt wird.
Durch diese Vertrauensvermutung ist die Verteidigung gegen einen Europäischen Haftbefehl besonders anspruchsvoll und bedarf der Unterstützung durch erfahrene Experten. Zum Teil ist eine Auslieferung selbst dann zulässig, wenn die Tat des Verdächtigen nach dem Recht des ersuchten Staates keine Straftat darstellt. Ausschlaggebend ist ausschließlich die im Rahmenbeschluss aufgeführte Liste an Straftaten und Delikten. Diese umfasst beispielsweise die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Terrorismus, Menschenhandel, Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt sowie Korruption. Der Europäische Haftbefehl ist, im Gegensatz zu den meisten Auslieferungsabkommen, insofern nicht durch den Grundsatz der beidseitigen Strafbarkeit geprägt.
Auslieferungsvoraussetzungen
§ 80 IRG konkretisiert Artikel 4 Nr. 7 a) und Artikel 5 Nr. 3 des Rahmenbeschlusses über den europäischen Haftbefehl. Die dort festgelegten Voraussetzungen für die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen an einen Mitgliedstaat der EU sind folgende:
- Der ersuchende Staat muss den Verfolgten auf dessen Wunsch zur Vollstreckung zurück nach Deutschland überstellen. Das bedeutet, dass ausschließlich die Verhandlung und die Urteilsverkündung im Mitgliedsstaat stattfinden und die Strafe anschließend in Deutschland verbüßt wird, § 80 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 IRG.
- Ebenso sollte gemäß § 80 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 IRG ein maßgeblicher Bezug zum ersuchenden Mitgliedstaat bestehen. Dieser liegt nach § 80 II 2 IRG vor, wenn die in Rede stehende Tathandlung auf dem Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates stattgefunden hat oder der Taterfolg zumindest in wesentlichen Teilen dort eingetreten ist.
Gemäß § 80 Absatz 2 IRG darf dieser maßgebliche Bezug entfallen, wenn dennoch die Rücküberstellung gesichert ist (s.o.), kein konkreter Bezug zu Deutschland gegeben ist, die Tat auch nach deutschem Recht strafbar ist und das schutzwürdige Vertrauen des Verfolgten in seine Nichtauslieferung bei Interessensabwägung nicht überwiegt. Hier sind neben den Grundrechten des Betroffenen auch praktische Erfordernisse einer Auslieferung zu berücksichtigen.
Ist eine Verurteilung in Deutschland bereits erfolgt, kann die Auslieferung zum Zwecke der Strafvollstreckung nur dann erfolgen, wenn der Betroffene nach entsprechender richterlicher Belehrung zustimmt, siehe § 80 Absatz 2 Satz 1 IRG.
Auslieferungshindernisse
Auslieferungshindernisse können sowohl formeller als auch materieller Natur sein. Gemäß Artikel 3 des Rahmenbeschlusses über den europäischen Haftbefehl sind zunächst folgende Ausschlussgründe beachtlich, aufgrund derer der ersuchte Mitgliedsstaat die Vollstreckung des Haftbefehls verweigern kann:
- Amnestie: Die Straftat fällt im Vollstreckungsstaat unter eine Amnestie und dieser Staat war nach seinem eigenen Strafrecht für die Verfolgung der Straftat zuständig.
- Doppelbestrafung, d.h., die festgenommene Person ist bereits wegen derselben Straftat verurteil worden – vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsmitgliedstaats nicht mehr vollstreckt werden kann.
- Minderjährigkeit: Die Person ist minderjährig, d.h., sie hat das Alter der Strafmündigkeit im Vollstreckungsstaat noch nicht erreicht.
Zusätzlich können gemäß Artikel 4 weitere Gründe für eine Anfechtung des Europäischen Haftbefehls greifen:
- Das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit: Dies gilt nur für Straftaten, die nicht unter die im Rahmenbeschluss explizit aufgeführten Straftaten fallen.
- Parallele Strafverfahren: Der Vollstreckungsstaat hat ein Strafverfahren gegen die Person wegen derselben Tat eingeleitet oder die Person wurde bereits in einem Drittstaat wegen derselben Tat verurteilt.
- Verjährung: Die Strafverfolgung ist nach den Vorschriften des Vollstreckungsstaats bereits verjährt.
Weitere Auslieferungshindernisse sind in § 83 IRG normiert:
- Es gibt bereits eine rechtskräftige Verurteilung wegen derselben Tat (auch oben schon in Artikel 4 des Rahmenbeschlusses über den europäischen Haftbefehl genannt).
- Der Verfolgte ist schuldunfähig im Sinne des § 19 StGB.
- Es ist ein Abwesenheitsurteil ist ergangen.
- Die angedrohte Freiheitsstrafe ist lebenslänglich.
Zudem darf gemäß § 73 Satz 2 IRG, wie oben bereits kurz erwähnt, kein Verstoß gegen den europäischen ordre public vorliegen. Es müssen also die in Artikel 6 des EU-Vertrages aufgezählten Bestimmungen eingehalten werden.
Haftbedingungen in Belgien
Unser Team war in den Jahren 2022/2023 mit einem Fall befasst, indem es die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen verhindern konnte, da belgische Haftanstalten mit folgenden Mängeln behaftet sind:
- gravierende Überbelegung in den Anstalten,
- mangelnde rechtzeitige medizinische Versorgung,
- baufällige Gebäude,
- kaum organisierten Aktivitäten außerhalb der Zelle und daher bis zu 23 Stunden täglichen Aufenthalts in den Zellen
- sowie massivem Personalmangel.
Solche Zustände in Haftanstalten sind kein Einzelfall und sind auch in Berichten des Council of Europe’s Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT), welches zuletzt 2021 mehrere Anstalten in Belgien untersucht hat, festgehalten.
Schlun & Elseven: Kompetenter Rechtsbeistand im Auslieferungsrecht
Eine Auslieferung stellt eine besondere Belastung dar – sowohl für die betroffene Person als auch für deren Angehörige. Unsere Anwälte für Auslieferungsrecht analysieren Auslieferungsersuchen im Detail und überprüfen, auf welcher Grundlage diese angreifbar sein könnten. Dabei profitieren Mandanten von unserem Fachwissen auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe sowie von unserer umfassenden Kenntnis der Arbeitsweise von beteiligten Gerichten und Strafverfolgungsbehörden. Wir setzen uns für Sie ein, damit Ihre Rechte und Interessen stets gewahrt bleiben.
Praxisgruppe für Auslieferungsrecht & Interpol
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