Nachdem der Brexit vollzogen und das Vereinigte Königreich offiziell aus der Europäischen Union ausgetreten ist, hat das Land den förmlichen Status als Drittstaat. Dies hat auch im Bereich des Auslieferungsrechts erhebliche Konsequenzen. Das Auslieferungsrecht ist einer der Bereiche, in denen bis zum Brexit Unionsrecht galt. Daher mussten sich das Vereinigte Königreich und die einzelnen Mitgliedstaaten einigen, wie eine Zusammenarbeit in der Strafverfolgung und das Auslieferungsrecht künftig geregelt werden sollten. Nach einer Übergangsphase von zwei Jahren, in der weiterhin Unionsrecht galt, ist inzwischen seit dem 01. Januar 2021 eine Neuregelung in Kraft.
Auslieferung nach dem Brexit: deutsche und nicht-deutsche Staatsangehörige
Bei einer Auslieferung ist insbesondere die Nationalität der betroffenen Person entscheidend. So liefert Deutschland keine deutsche Staatsangehörige an Drittstaaten aus. Seit dem Brexit hat auch das Vereiniget Königreich den Status eines „Drittstaats“ inne. Laut dem Bundesjustizministerium dürfen deutsche Staatsbürger gemäß Art. 16 GG ausschließlich an andere EU-Staaten ausgeliefert werden und somit nicht mehr an das Vereinigte Königreich. Mutmaßliche Straftäter, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, dürften allerdings weiterhin gemäß der nun geltenden Auslieferungsbestimmungen an das Vereinigte Königreich ausgeliefert werden. In Bezug auf Unionsbürger gelten die gleichen Bestimmungen, die allgemein auf die Auslieferung von Unionsbürgern an Drittstaaten anzuwenden sind. Mehr Informationen bezüglich der Auslieferung von Unionsbürgern erhalten Sie hier.
Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht das einzige Land, das diesen Schritt unternimmt und keine eigenen Staatsbürger mehr an Großbritannien ausliefert. Auch andere Länder erklärten der Europäischen Kommission gegenüber bereits, dass eine Fortführung der bisherigen Regelung nach dem Brexit gegen ihre jeweiligen Verfassungen verstieße. Im Allgemeinen sind Länder nur ungern bereit, ihre eigenen Staatsangehörigen auszuliefern, wie der Auslieferungsfall Carlos Ghosn zeigt. Andere EU-Länder haben ähnliche nationale Gesetze wie Deutschland, die eine Auslieferung ihrer eigenen Staatsangehörigen an Nicht-EU-Mitgliedsstaaten verhindern.
Das Vereinigte Königreich erklärte daraufhin, dass es von den betreffenden Mitgliedstaaten erwarte, dass sie die jeweiligen Strafverfahren selbst durchführten.
Das deutsche Recht hindert den Staat lediglich an der Auslieferung eigener Staatsangehöriger an Drittstaaten, nicht jedoch daran, das Verfahren selbst zu übernehmen. Entsprechend gilt für deutsche Staatsbürger, dass sie statt einer Auslieferung an das Vereinigte Königreich ein Strafverfahren in Deutschland erwarten könnte.
Europäisches Recht, der Europäische Haftbefehl und die Auslieferung vor dem Brexit
Auslieferungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich wurden vor dem Brexit im Rahmen der Strafverfolgung innerhalb der Europäischen Union durchgeführt. Der Europäische Haftbefehl bietet allen Mitgliedstaaten die Möglichkeit, die Justizbehörde eines anderen Staates um Festnahme und Übergabe einer verdächtigen Person zu ersuchen. Grundlage des Europäischen Haftbefehls ist das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Gerichtsentscheidungen. Seit seiner Einführung durch den EU-Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2002 (RbEuHb) bietet er den EU-Staaten zahlreiche Vorteile im Vergleich zu herkömmlichen Auslieferungsverfahren, wie beispielsweise eine schnellere und vereinfachte Umsetzung.
Europäische Strafverfolgung nach dem Brexit
Durch den Austritt aus der EU ist das Vereinigte Königreich nun allerdings vom Schengener Informationssytem (SIS II) und den Datenbanken Europols abgeschnitten. Auch das Regelwerk zum Europäischen Haftbefehl greift nicht mehr. Somit sind die Grundlagen einer gemeinsamen europäischen Strafverfolgung in Bezug auf das Vereinigte Königreich außer Kraft und eine darauf basierende vereinfachte Strafverfolgung nicht mehr möglich. Um dennoch eine enge Kooperation der Strafverfolgungsbehörden zu ermöglichen, wird diese nun durch Zusatzabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich geregelt.
So sind die Briten weiterhin berechtigt, Teil wichtiger europäischer Informationssysteme zu sein: Sie nehmen weiterhin am automatisierten Datenabgleich und Informationsaustausch von Fingerabdrücken, Kfz-Kennzeichen, Fluggastdatensätzen sowie DNA-Spuren zwischen den Vertragsstaaten mit. Darüber hinaus behält das Vereinigte Königreich weiterhin Zugang zum Europäischen Strafregisterinformationssystem (ECRIS), das Staatsanwaltschaften und Gerichten den Abruf von Informationen über Strafurteile in einem anderen EU-Staat ermöglicht. Die einzige Sonderregelung, die für die das Vereinigte Königreich im Vergleich zu anderen EU-Staaten gilt: die Frist, in der ein Ersuchen erledigt werden muss, wurde für die Briten auf 20 Tage verdoppelt, wodurch die EU-Staaten den Anfragen britischer Strafverfolgungsbehörden weniger schnell nachkommen müssen als denen anderer Mitgliedsstaaten.
Auslieferung zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich nach dem Brexit
Da das Regelwerk des Europäische Haftbefehls in Bezug auf das Vereinigte Königreich nicht mehr greift, müssen auch für Auslieferungsersuchen neue Bestimmungen erlassen werden. Der Austausch internationaler Haftbefehle soll seit dem Brexit kompensiert werden, indem die Zusammenarbeit mit Interpol verstärkt wird. Zu beachten ist dabei jedoch, dass zum einen nicht alle EU-Mitgliedstaaten Interpol im gleichen Umfang nutzen, zum anderen eine anschließende Auslieferung nicht durch Interpol, sondern durch jeweilige Regelungen zwischen den Staaten erfolgt. Daher ist die Zusammenarbeit über Interpol nicht mit der engen Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten aufgrund von Unionsrecht vergleichbar.
Bevor das Vereinigte Königreich 1963 der Europäischen Union beitrat, war es bereits Mitglied im Europarat und entsprechend auch Mitglied im Auslieferungsübereinkommen des Europarats. Da der Europarat unabhängig von der Europäischen Union ist, bleibt das Vereinigte Königreich dort weiterhin Mitglied. Deutschland ist wie die übrigen EU-Mitgliedstaaten ebenfalls Mitglied im Europarat. Sollte das Vereinigte Königreich von der Bundesrepublik also die Auslieferung einer Person, die sich in Deutschland aufhält, verlangen, richtet sich der Umgang mit diesem Auslieferungsersuchen seit dem 01.01.2021 nach dem Auslieferungsübereinkommen des Europarats. Ergänzend dazu findet sich im „Handels- und Kooperationsabkommen“ eine Sondervereinbarung für Auslieferungen. Enthalten sind Bestimmungen, die angewendet werden können, wenn die der gesuchten Person vorgeworfene Straftat mit einer Freiheitsstrafe von mindestens 12 Monaten belegt ist. In Artikel Law. Surr. 79 wird der Anwendungsbereich dieser Sondervereinbarung näher bestimmt. Dort findet sich unter anderem, ähnlich dem Europäischen Haftbefehl, eine Liste von Straftaten, in denen eine Kooperation erfolgen kann. Darüber hinaus finden sich dort weitere Bestimmungen darüber, in welchen Fällen eine vereinfachte Auslieferung nicht erfolgen kann. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Straftat von einer Amnesie erfasst wurde oder eine Person bereits für die jeweilige Tat bestraft wurde.
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